Verschwörungsmythen – warum wir aufpassen müssen, „Verschwörungstheorien“ durch falsche Begrifflichkeiten zu viel Gewicht zu verleihen:
Ein Beitrag meiner Praktikantin Jennifer Hapke.
Verschwörungsmythen sind seit Corona in aller Munde. Aber eigentlich sind diese Erzählungen schon deutlich älter. Die „erste“ Verschwörungserzählung stammt aus dem Jahre 1144 und ist als sogenannte „Ritualmordlegende“ bekannt geworden. Ritualmordlegenden unterstellen, dass gesellschaftlich diskriminierten Minderheiten – meist sind es Juden- Ritualmorde an Angehörigen einer Mehrheitsgruppe begehen. Auch in den folgenden Jahrhunderten waren die unterschiedlichsten Verschwörungserzählungen weit verbreitet. Bis in die 1950er Jahre war der Verschwörungsglaube an sich sogar gesellschaftlich akzeptiert. Ganz im Gegensatz zu heute. Heute ist er ein Randphänomen, auch wenn die Corona-Pandemie diesen wieder etwas sichtbarer gemacht hat.
Viele Menschen würden argumentieren, dass wir diesen Verschwörungserzählungen keine allzu große Aufmerksamkeit schenken sollten. Das ist auf der einen Seite sicherlich richtig. Es birgt auf der anderen Seite die Gefahr, dass diese sich unterschwellig weiter verbreiten, weil Sie in unserer Gesellschaft nicht thematisiert werden. Deswegen ist es wichtig, über Verschwörungsmythen zu sprechen und den Begriff ganz klar zu definieren und einzugrenzen. Wenn wir über diese Erzählungen sprechen, hört man die unterschiedlichsten Namen dafür. Verschwörungsmythen, Verschwörungserzählungen und viele andere. Ein Name hat sich jedoch in der Gesellschaft, und auch im politischen Sprachgebrauch, festgesetzt. Dieser Begriff rückt diese Erzählungen in ein völlig falsches Licht. Gemeint ist der Begriff „Verschwörungstheorie“.
Pia Lamberty, Sozialpsychologin und Leiterin des CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie), und Katharina Nocun, Publizistin, fassen es auf Seite 21 in ihrem Buch „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ sehr gut zusammen. „Bei Debatten um Verschwörungserzählungen werden häufig verschiedene Begriffe durcheinandergeworfen: Verschwörungserzählungen, Verschwörungsmythos, Verschwörungsglauben, Verschwörungsideologie oder die Verschwörungsmentalität. Der gängige Begriff der Verschwörungstheorie ist in letzter Zeit immer mehr kritisiert worden, da man hierbei nicht von Theorien im wissenschaftlichen Sinn sprechen kann. Eine Theorie ist eine wissenschaftlich nachprüfbare Annahme über die Welt. Wenn sich diese als falsch herausstellt, wird sie auch wieder verworfen. Die Verschwörungserzählung zeichnet sich aber eben genau dadurch aus, dass sie sich der Nachprüfbarkeit entzieht. Egal wie viele Gegenbeweise es gibt, der Verschwörungsideologe beharrt auf seiner Meinung. Kritikwürdig ist außerdem, dass bei Nutzung des Theoriebegriffs jede noch so verrückte Idee als Theorie aufgewertet werden würde.“
Diese Aufwertung führt im Endeffekt dazu, dass Menschen diesen Erzählungen eher Glauben schenken. Des Weiteren macht es dieser Vorgang bestimmten politischen Kräften in unserem Land, die einen Systemumsturz herbeiführen wollen, sehr leicht, die Demokratie zu schwächen und mehr Menschen für sich zu gewinnen. Während meines Praktikums durfte ich auch am Innenausschuss des Landtages teilnehmen. Dort hörte ich immer wieder Aussagen, dass „Verschwörungstheorien“ immer als „Schwachsinn“ abgetan wurden, aber nun Wirklichkeit werden wurden. Was genau dieser Verschwörungsmythos beinhaltete, lies der Redner allerdings offen und agierte somit genau wie all jene, die Verschwörungsmythen in den unterschiedlichsten Kanälen verbreiten.
Diese Mythen haben fast immer denselben Ausgangspunkt: Eine böse Geheimgesellschaft plant die Menschheit zu unterjochen und die Weltherrschaft zu übernehmen. Dabei werden ganz häufig Juden in ein schlechtes Licht gerückt, wodurch viele Verschwörungsmythen antisemitische Züge haben (Rotschild oder Soros werden in diesem Zusammenhang oft genannt). Auch Politiker oder die Freimaurer werden oft bösen Geheimgesellschaften zugeordnet. Das schafft die Grundlage für die Thesen auf denen Verschwörungserzählungen aufgebaut sind. Alle vermeintlichen Fakten, die diese These stützen könnten, werden anschließend gesammelt. Was ihrer These widerspricht, wird komplett verschwiegen. Oftmals sind die Zahlen oder Fakten, die verwendet werden, leicht zu überprüfen sind und auch erst einmal stimmig. Die Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden, sind jedoch falsch. Meist deuten diejenigen, die die Verschwörungserzählung erfinden, wahre Ereignisse so lange um, bis sie zu dieser Erzählung passen. Unter dem Strich ist eine Verschwörungsideologie also eine Mischung aus einigen nachprüfbaren Fakten und vielen erfundenen Behauptungen und Geschichten, aus denen immer neue Sinnzusammenhänge konstruiert werden.
Wozu das führen kann, haben wir jüngst in Amerika mit dem Sturm auf das Kapitol und in Brasilien mit dem Sturm des Regierungsviertels, gesehen. Diese Mythen sind gefährlich. Sie werden dazu genutzt, Menschen aufzustacheln und eigentlich gefestigte Systeme ins Wanken zu bringen. In den letzten Jahren konnte man beobachten, dass solche Erzählungen zu Attentaten und Morden führen können, die dadurch begründet werden. Das Attentat in Christchurch 2019, der Anschlag in Hanau im Jahre 2020, oder auch der Mord in Idar-Oberstein während der Corona-Pandemie 2021 sind traurige Beweise dafür. Nach außen hin sieht es so aus, als ob „verwirrte Einzeltäter“ hinter solchen Taten stecken. Das diese Menschen vorher in Foren unterwegs waren, die ungefiltert Verschwörungsmythen verbreitet haben, wird viel zu häufig übersehen.
Aus diesem Grund ist es gerade im politischen Sprachgebrauch wichtig, ganz klar zwischen Mythen und Theorien zu differenzieren. Man muss aufpassen, wie man Dinge benennt. Des Weiteren stellt man sich mit einer genauen Abgrenzung auch gegen die Parteien in unserem Land, die versuchen, Verschwörungsgläubige für sich zu gewinnen und unsere Demokratie ins Wanken zu bringen. Man nimmt ihnen dadurch die Luft aus den Segeln.