Ein Beitrag meines Schülerpraktikanten Kaan Turhal.

Immer mehr Schülerinnen und Schüler kritisieren das deutsche Schulsystem, doch ist da etwas dran oder handelt es sich hierbei schlichtweg um Kinder und Jugendliche, die eine Schulverdrossenheit haben?

„Wir sind Schüler von heute, die in Schulen von gestern, von Lehrern von vorgestern, mit Methoden aus dem Mittelalter, auf die Probleme von übermorgen, vorbereitet werden.“, sagte Professor Doktor Peter Pauling in der Filmdokumentation „100 Deutsche Jahre – Die Deutschen und die Schule“ und macht damit auf die grundsätzlichen Probleme des Schulsystems deutlich.

1. Renovierungsbedürftige Schulen

Viele Schulen in Deutschland sind massiv renovierungsbedürftig. Schon seit Jahren machen Schüler- und Lehrerverbände darauf aufmerksam, insbesondere finanzschwache Kommunen leiden darunter.[1] Auch Gelder aus Förderprogrammen können kaum abgerufen werden, da bei vielen Kommunen nicht die Kapazitäten zur Bearbeitung vorhanden sind. Wir haben einen Mangel an Beamten, die solche Anträge bearbeiten.[2] [3] Wenn dann mal eine Kommune Gelder abruft, da sie personell gut aufgestellt ist, scheitert es spätestens an den komplizierten Bauvorschriften für Schulprojekte. Architektenkammern und Ingenieurkammern, aber auch der Städte- und Gemeindebund kritisieren die Vielzahl der DIN-Normen in Deutschland und verweisen auf Nachbarländer mit deutlich weniger Bauvorschriften.[4] Deutlich wurde die Kritik von den geladenen Sachverständigen im Ausschuss für Bauen, Wohnen und Digitalisierung vom 19. Januar 2023 im nordrhein-westfälischen Landtag. Dort heißt es, dass es weniger Bauvorschriften geben muss, um die Industrie, aber auch Bauaufsichtsbehörden zu entlasten. Dass das funktioniert, zeigen unsere Nachbarländer.

Im Vergleich zu anderen Bundesländern ruft das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen unterdurchschnittlich wenig Gelder für Schulen ab, wie die Bertelsmann-Stiftung ermittelt hat – und das zum Nachteil der 2,47 Millionen Schülerinnen und Schüler Nordrhein-Westfalens.

2. Lehrplan

Der Lehrplan deutscher Schulen muss revolutioniert werden. Dieser Auffassung bin nicht nur ich, sondern auch 93 % der Schulleiterinnen und Schulleiter, wie eine Studie aus dem Jahr 2022 des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) zeigt.[5] Unser Lehrplan umfasst kaum essenzielle Alltagskompetenzen und das ist ein großes Problem. Man bezeichnet Schule als „Bildungseinrichtung“ und setzt die Erwartung, dass Alltagskompetenzen nicht in der Schule, sondern zu Hause von den Eltern gelehrt wird. Eine absurde Idee. Um zu lernen, wie Schule richtig geht, sollten wir in die nordischen Länder schauen, insbesondere nach Finnland. Dort deckt der Kernlernplan sieben Kompetenzbereiche:

  1. Denken und das Lernen lernen
  2. Kulturelle Bildung, Interaktion und Ausdruck
  3. Auf sich selbst achten, Alltagskompetenzen und Sicherheit
  4. Multiliterarität, Lesekompetenz
  5. ICT-Kompetenz bzw. digitale Kompetenz
  6. Kompetenzen fürs Arbeitsleben und Unternehmertum
  7. Beteiligung, Einfluss und Verantwortung für eine nachhaltige Zukunft

Das ist ein wichtiger Schritt zur strukturellen Veränderung der Schulen und muss auch in Deutschland umgesetzt werden. Wie schon die PISA-Studien zeigen, schneidet Deutschland im OECD-Ranking unterdurchschnittlich ab.[6] Deshalb müssen hier Bund und Länder gemeinsam eine Entscheidung zur Revolutionierung des Lehrplans treffen!

3. Weiterbildung & Digitalisierung

Einige Schulen versuchen von der klassischen Tafel wegzukommen und setzen vermehrt auf iPads. Eine Entwicklung, die in Zeiten der Digitalisierung längst überfällig ist, doch problematisch wird es, wenn den Lehrkräften die erforderliche digitale Kompetenz fehlt. Deutschland bietet Lehrkräften zu wenige Weiterbildungsmöglichkeiten im Thema Digitalisierung und belegt im OECD-Ranking den vorletzten Platz. Aus Sicht eines Schülers bestätige ich, dass die Schülerinnen und Schülern eher den Lehrern die digitale Kompetenz lehren und nicht anders herum.

Wenn Schulen auf iPads setzen, spielt auch die Chancengleichheit ein wichtiges Thema. Kaum eine Schule hat die finanziellen Mittel, den Schülern ein iPad zur Verfügung zu stellen und daran muss gearbeitet werden. Jede bedürftige Schülerin, jeder bedürftige Schüler sollte kostenfrei ein iPad zur Verfügung gestellt bekommen, ansonsten wird das nie etwas mit der Digitalisierung an den Schulen! [7] [8]

4. Ungleichheit

Lehrerinnen und Lehrer bewerten unfair. Das ist eine These, die bei vielen Menschen Stirnrunzeln verursacht, doch diese Aussage spiegelt die Realität in deutschen Schulen wider. Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Familien werden in 29,8 % der Fälle schlechter bewertet als Schülerinnen und Schüler aus finanziell besser betuchten Elternhäusern und das trotz gleicher Leistung. Schülerinnen und Schüler aus einem bildungsnäheren Elternhaus erhalten häufiger eine Gymnasialempfehlung als Arbeiterkinder, obwohl die Leistungen dieselben sind.[9] Insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund leiden unter dieser ungleichen Chancengleichheit und deshalb appelliere ich zu mehr Gleichberechtigung und Akzeptanz für Arbeiterkinder und Kindern aus finanziell weniger betuchten Elternhäusern.

5. Schlechte Schüler, Gute Schüler

In Deutschland sortieren wir Schülerinnen und Schüler je nach Leistung. Ist jemand leistungsstark, kommt es nach der Grundschule auf ein Gymnasium, ist es leistungsschwach auf eine Hauptschule. Ein System aus Zeiten des Ersten Weltkriegs, und wir nutzen es immer noch. Eine solche Separation von Schülerinnen und Schülern basiert auf keiner wissenschaftlich fundierter Erkenntnis. Ursprünglich war das Ziel, die „Elite“ und das „normale Volk“ auf unterschiedliche Schulen zu schicken. Aus heutiger Sicht wissen wir aufgrund wissenschaftlich fundierter Daten, dass es sinnvoller ist, leistungsstarke und leistungsschwache Kinder nicht zu separieren, sodass leistungsschwache nicht abgehängt werden. Unser existierendes Schulsystem sorgt für zusätzliche Spaltung. Ein Blick in das finnische Schulsystem genügt, dass es auch anders geht. Auch eine Studie der US-Non-Profit-Organisation „National Bureau of Economic Research“ stützt den Nutzen einer Gemeinschaftsschule.[10] Ebenso zeigen Forschungen der Stiftung Mercator, dass die Segregation an deutschen Schulen nur weiter ungleiche Bildungschancen schafft.[11] Um für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen, muss das Schulsystem neu gedacht werden!

6. Fazit

Wie ich anhand meines Textes deutlich gemacht habe, muss das deutsche Schulsystem grundlegend verändert werden. Es existieren viele vermeidbare Missstände, die behoben werden müssen. Auch die Finanzierung der Schulen muss besser funktionieren. Es darf nicht sein, dass finanziell und personell schlechter aufgestellte Städte und Kommunen nicht von Fördergeldern profitieren können. Wichtig ist mir auch zu sagen, dass viel zu wenig Gelder in die Bildung fließen. Warum kann über 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr fließen, aber nicht die benötigten 45 Milliarden Euro in Schulen?!

Wenn wir schon einen Lehrermangel haben, dann müssen doch wenigstens die vorhandenen Lehrerinnen und Lehrer richtig geschult werden und damit verweise nochmals ausdrücklich auf die unzureichende Weiterbildungsmöglichkeiten für Lehrerinnen und Lehrer im Themengebiet Digitalisierung.

Betonen möchte ich auch, dass Schulen nicht auf das Leben vorbereiten. Viele Aspekte fehlen und die Individualität der Kinder und Jugendlichen wird verworfen. Stattdessen wird auf standardisierte Inhalte gesetzt, die wichtige Aspekte außer Acht lassen. Wichtige Inhalte wie Ernährung, Kommunikation, Beruf, Alltags- und Lebenskunde fehlen schlichtweg. Es ist zwar löblich, dass vereinzelt Schulen Hauswirtschaft als Wahlfach anbieten und das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen das Projekt „Kein Abschluss ohne Anschluss“ ins Leben gerufen hat, aber das Ganze ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und muss noch stark ausgebaut werden.

Dieses uralte System muss verändert werden, und dafür muss sich die Politik einsetzen!


[1] https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/marode-schulen-34-milliarden-euro-sanierungsbedarf

[2] https://www.publecon.de/app/download/5815977804/publecon+Demografie-Studie.pdf

[3] https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/was-hat-der-digitalpakt-schule-bislang-gebracht

[4] https://www.dstgb.de/themen/stadtentwicklung-und-wohnen/aktuelles/kernforderungen-wohnraum/wohnraum-kernforderungen-des-dstgb-081117-1.pdf?cid=91p

[5] https://www.cornelsen.de/_Resources/Persistent/e/f/c/4/efc40df2e93c4a89eba02bef2d4bd7326d885822/0001100000220%20FiBS_220329_001_Schuleitungsstudie.pdf

[6] https://www.oecd.org/berlin/themen/pisa-studie/

[7] https://www.uni-hildesheim.de/fb1/institute/institut-fuer-sozial-und-organisationspaedagogik/forschung/laufende-projekte/umsetzung-des-digitalpakts-schule/

[8] https://www.yp-ruhr.de/wp-content/uploads/2021/07/Digitale-Bildung-Chancengleichheit-1.pdf

[9] https://www.tagesspiegel.de/wissen/sozial-benachteiligte-schuler-bekommen-schlechtere-noten-6707884.html

[1] http://www.nber.org/papers/w14633

[11] https://www.stiftung-mercator.de/content/uploads/2020/12/SVR_Studie_Bildungssegregation_Juli_2013.pdf